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Die Verfolgung von Homosexuellen © izrg

Sofort nach der Machtübernahme beginnt der NS-Staat gegen Homosexuelle vorzugehen; Polizei, Gestapo und SS führen in Städten Razzien durch: Sie misshandeln und nehmen viele in "Schutzhaft", zerstören die homosexuelle Subkultur. Nach der NS-Ideologie trägt Homosexualität zum "Untergang des deutschen Volkes" bei, da Homosexuelle ihre Zeugungsaufgabe verweigerten. Zudem gingen von ihnen die Gefahren der "seuchenartigen" Ausbreitung durch die Verführung Jugendlicher und der Gefährdung der "öffentlichen Sittlichkeit" aus. Sie seien zu registrieren, wenn möglich umzuerziehen (ab 1935 auch durch vorgeblich "freiwillige Kastration"), gegebenenfalls auch zu vernichten.

Die Kriminalisierung der Homosexualität ist allerdings keine Erfindung der Nationalsozialisten. Seit 1871 existiert mit dem § 175 eine reichsweite juristische Grundlage, die "widernatürliche Unzucht ... zwischen Personen männlichen Geschlechts" unter Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe zu stellen; allerdings wird der Paragraf in der liberaleren Weimarer Republik unterschiedlich streng ausgelegt. Im Juni 1935 trägt eine Ausweitung des Straftatbestandes allerdings zu einer erheblichen Verschärfung des § 175 bei. Himmler ordnet im Oktober 1936 per Geheimerlass die Schaffung der "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung" an, die von nun an die Verfolgung der homosexuellen "Staatsfeinde" koordiniert. Ab Mitte 1943 war der Schleswig-Holsteiner Dr. Carl-Heinz Rodenberg ihr wissenschaftlicher Leiter. Die Zentrale überwacht "verdächtige" Lokale oder Hotels, überprüft Anzeigen und erstellt eine umfassende Kartei über jene Männer, die vorgeblich homosexuell oder auch nur verdächtig waren, was Denunziation aus der oft homosexuellenfeindlichen Bevölkerung Tür und Tor öffnet. Am 23. Januar 1937 werden auf Grund von Denunziationen aus der Bevölkerung allein in Lübeck in einer Nacht 230 homosexuelle beziehungsweise angeblich homosexuelle Männer verhaftet, verhört und misshandelt.

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der "Volksseuche Homosexualität" zeigen Wirkung: Während im ganzen Oberlandesgerichtsbezirk Kiel im Jahr 1932 nur sieben Verurteilungen nach dem § 175 verzeichnet worden sind, verurteilt man 1937 im nur etwa ein Viertel ausmachenden Landgerichtsbezirk Kiel allein 183 Männer. Reichsweit steigen die Zahlen 1938 auf den Höchststand von über 8.500 oft härteren Urteilen an. In oft willkürlich als "besonders gravierend" eingeschätzten Fällen müssen Betroffene nach der regulären Haft ins KZ. Die genauen Opferzahlen sind unbekannt, die Forschung geht von reichsweit 5.000 bis 15.000 homosexuellen KZ-Insassen aus, etwa die Hälfte soll gestorben sein.

Den homosexuellen Opfern bleitb eine offizielle Anerkennung als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung verwährt, die wenigstens erhalten eine "Wiedergutmachung". Der § 175 gilt in seiner unter dem nationalsozialistischen Regime verschärften Form bis 1969. Endgültig abgeschafft wird er erst 1994.

Gegen weibliche Homosexualität gehen die Behörden nicht planvoll vor, da man sie nicht als Gefährdung des Volkes ansieht: Im NS-Frauenbild ist sexuelle Selbstbestimmung nicht vorgesehen, lesbische Frauen gelten als "kurierbar" und jedenfalls "fortpflanzungsfähig". Deshalb dehnt man § 175 trotz Diskussionen nicht auf Frauen aus. Aufgrund der zerstörten Subkultur haben aber auch homosexuelle Frauen mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Bei Entdeckung der lesbischen Lebensweise droht trotzdem eine Einweisung in Konzentrationslager - und dort gar der Zwang, im Lagerbordell zu arbeiten - dann allerdings nicht begründet mit der Homosexualität, sondern mit "Wehrkraftzersetzung" oder "Asozialität".

Siehe auch:

Erinnerung eines Lübeckers
Homosexuellen Lübecker

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