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Die "Schubladen-Affäre" © izrg

Die „Schubladen-Affäre“

Am 1. März 1993 tritt überraschend der damalige schleswig-holsteinische Sozialminister Günther Jansen vor die Medien und erklärt, seine Frau und er hätten auf privater Basis zwischen 1988 und 1990 Reiner Pfeiffer zweimal ungefähr 20.000 DM an Bargeld zukommen lassen. Ihr Motiv: dem arbeitslosen Pfeiffer, auch dessen ehemaliger Sekretärin, die beide Opfer der „Barschel-Affäre“ geworden seien, beim Wiedereinstieg zu helfen. Die Sekretärin ist wieder im Landesdienst, aber dem Journalisten Pfeiffer könne man beruflich nicht helfen, er habe den Jansens leid getan. Das Geld hätten sie in einer Schublade angesammelt und bar überbringen lassen. Der Bote: SPD-Pressesprecher Klaus Nilius.

Ausgelöst haben diese Erklärung Recherchen von „Stern“-Reportern, die von einer Exfreundin Pfeiffers Hinweise auf die Geldumschläge erhalten haben. Jansens Motive und Begleitumstände gelten als undurchsichtig und nicht vermittelbar. Journalisten beginnen erneut mit intensiven Recherchen über die zurückliegende Affäre. Handelte es sich bei den Zahlungen an Pfeiffer um „Schweigegeld“? Die Rolle der SPD im Jahr 1987 rückt in den Mittelpunkt. Am 15. März gibt Klaus Nilius bekannt, er müsse einen Teil seiner Aussagen von 1987 korrigieren; Nilius hat damals erklärt, ab Juli 1987 Kontakt zu Pfeiffer gehabt zu haben, aber Björn Engholm nicht über die Machenschaften informiert zu haben. Am 23. März erklärt Günther Jansen seinen Rücktritt als Sozialminister. Er müsse einsehen, dass „viele meine Denk- und Handlungsweise weder für vertretbar halten noch akzeptieren.“

In den Wochen danach gibt es Aktivitäten im Umfeld von Ministerpräsident Björn Engholm, der inzwischen auch Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD ist. Es geht um die Frage, ob er die volle Wahrheit gesagt hat. Der ihn beratende Bundestagsabgeordnete Norbert Gansel führt Gespräche, rät Engholm anschließend, „mit der Wahrheit zu kämpfen“, drängt jedoch kurz darauf zum Rücktritt. Tiefe persönliche Verwerfungen in der Landes-SPD folgen. Am 3. Mai 1993 tritt Björn Engholm von allen politischen Ämtern zurück. Er räumt ein, dass er sich korrigieren müsse: Tatsächlich nämlich hatte ihn Rechtsanwalt Schulz damals noch in der Nacht des 7. September 1987, also sechs Tage vor der Wahl, über den Inhalt des Treffens mit Pfeiffer informiert. Zur Nachfolgerin von Engholm wird Heide Simonis als erste Ministerpräsidentin der Bundesrepublik gewählt.

Am 10. März beschließt der Landtag einen neuen Untersuchungsausschuss. Das Gremium arbeitet vom 23. März 1993 bis zum 12. Dezember 1995. 241 Sitzungen finden statt, über 200 Zeugen vernommen. Der „Schubladenausschuss“ stellt schließlich fest, dass das an Pfeiffer gezahlte Geld „nicht von der SPD, ihr nahestehenden Organisationen oder aus dem Regierungsbereich“ stammt, sondern privat aufgebracht wurde. Die „Motivbildung“ und die „Darstellung des Ansparvorganges“ Jansens aber halte man für „widerlegt“ und nehme „einen inneren Zusammenhang“ zwischen Forderungen Pfeiffers und diesen Zahlungen an, zumal er „ein Druckpotential“ besessen habe. Einen objektiven Beweis gegen Jansens Geschichte von den Zahlungen an Pfeiffer liefert der Ausschuss jedoch nicht.

Viele Indizien werden benannt, die auf eine frühzeitigere Informierung Engholms hindeuten. Nilius hat unter anderem eingestanden, dass er an den beiden „Spiegel“-Berichten 1987 beteiligt war und dass seine Kontakte zu Pfeiffer auch später noch intensiver waren. Eine Schlüsselaussage des neuen Untersuchungsausschusses fasst der Leiter des Untersuchungsausschusses Heinz-Werner Arens (SPD) wie folgt zusammen: „Anhaltspunkte, die eine Auftraggeberschaft und/oder Mitwisserschaft Uwe Barschels an den Machenschaften Observation, anonyme Steueranzeige, Aids-Vorwurf und Wanzenbeschaffung belegen, die zu Feststellungen berechtigen, gibt es nicht.“ Zwar habe Barschel auf der Ehrenwort-Pressekonferenz gelogen und Mitarbeiter zum Meineid genötigt, auch sei das Wissen und Nachhaken in der Steueranzeige eindeutig erwiesen, die Verantwortung für den Wahlkampfstil ohnehin, nicht aber die Urheberschaft und Mitwirkung an den kriminellen Aktivitäten.

Die politischen Bewertungen im 700-seitigen Schlussbericht werden getrennt vorgenommen. Die SPD-Mitglieder stellen fest, „dass von Vertretern der SPD 1987 erhebliche Fehler im Umgang mit der Person Pfeiffers und Fehler im Umgang mit den erlangten Erkenntnissen gemacht worden sind. … Die SPD bedauert diese Vorkommnisse und entschuldigt sich hierfür.“ Die CDU-Mitglieder schreiben: „Die Affäre des Jahres 1987 bedarf einer umfassenden Neubewertung. … Für eine Mittäterschaft oder auch nur eine Mitwisserschaft Dr. Uwe Barschels gibt es keinerlei Beweise.“

Am Ende des Untersuchungsausschusses bleiben weiterhin Fragen offen: Wie starb Barschel wirklich? Wie weit geht seine Verantwortung? Haben Sozialdemokraten 1987 versucht, die Opferrolle zu instrumentalisieren, oder sind sie unvorsichtig in einen Strudel geraten? Warum haben sie ihre Fehler nicht beizeiten eingeräumt? Wie glaubwürdig ist Pfeiffer? Hat er ein Mehrfachspiel getrieben? – Es gibt weiterhin ein weites Feld, auch für unseriöse Spekulationen.

Siehe auch:

Zitat Arens

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