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Mädchenbildung an der "Auguste-Viktoria" © izrg

Die Institution Schule ist immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft und ihrer Probleme. Während der Kaiserzeit sind es drei große Konflikte, die die Entwicklung des allgemeinen Schulsystems prägen: Zum einen die Frage der Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen, des weiteren die soziale Selektion durch das System Schule und drittens die Instrumentalisierung der Institution Schule im Sinne einer nationalen Erziehung. Alle drei Probleme verschärfen sich durch die starren Klassenschranken jener Zeit.

Im 19. Jahrhundert sind Frauen bezüglich ihrer Schulausbildung und der Möglichkeit einer eigenständigen Berufsausübung gegenüber Männern benachteiligt. Gleichzeitig sind sie nach der damaligen Rechtslage nur beschränkt geschäftsfähig, also gerade in finanziellen Dingen stark von ihren Vätern oder Ehemännern abhängig. Auf besondere Art hiervon betroffen sind die Mädchen und Frauen aus der Mittelschicht. Während die Oberschicht über ausreichende Mittel verfügt, jungen unverheirateten Frauen und Witwen ihr Auskommen zu finanzieren und Frauen der Unterschicht ganz selbstverständlich arbeiten müssen, stehen die Frauen der Mittelschicht ohne qualifizierende Schulabschlüsse, Ausbildungen und Berufsperspektiven da. Das ausgeprägte Klassendenken ihrer Gesellschaftsschicht erlaubt ihnen nicht, einen eigenen Beruf auszuüben, sondern beschränkt sie fast ausschließlich auf Tätigkeiten als Hausfrau, Ehegattin und Mutter. Viele von ihnen stehen mittellos dar, falls sie unverheiratet bleiben oder der Ehemann stirbt; sie sind auf familiäre Unterstützung angewiesen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat die Zahl der von Verarmung und gesellschaftlichem Abstieg bedrohten Frauen derart stark zugenommen, dass es daraufhin in den Städten auf Initiative der Mittelschicht zu einem Ausbau des höheren Schulwesens kommt; obwohl die Ehe weiterhin als das standesgemäße "Lebensziel" für die Frauen gilt. Die Mittelschicht übt als gesellschaftliche Gruppe Druck auf den preußischen Staat aus, qualifizierende Schulabschlüsse und bessere Berufsmöglichkeiten für unverheiratete Töchter zu schaffen. Rechtlich ändert sich die Stellung der Frau mit Einführung des "Bürgerlichen Gesetzbuchs" (BGB) im Jahre 1900. Aber erst die preußische Schulreform von 1908, mit ihren verbindlichen Kriterien für Höhere Mädchenschulen, ermöglicht es den Frauen auch in der Praxis selbstständig für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen.

Im Jahre 1884 existieren in ganz Preußen erst 185 öffentliche Höhere Mädchenschulen – gerade einmal zwei in der Provinz Schleswig-Holstein! Im Gegensatz zum höheren Schulwesen für Jungen gibt es zu dieser Zeit noch keine einheitlichen Standards für Höhere Mädchenschulen. Noch ist die schulische Bildung der Mädchen aus "besseren" Elternhäusern zumeist Aufgabe weniger, exklusiver Privatschulen oder von Privatlehrern. Dem traditionellen Bild ihrer Zeit entsprechend, bereiten die Lehrer und Lehrerinnen die Mädchen auf ihre gesellschaftliche Rolle als "Dame" der Gesellschaft, Hausfrau und Mutter vor. Dabei gehen Lehrer und Lehrerinnen – weit verbreiteten Denkmustern in der Gesellschaft folgend – von unterschiedlichen Veranlagungen von Jungen und Mädchen aus. Grundlage hierfür ist die Vorstellung, dass den körperlichen Unterschieden zwischen Mann und Frau auch geistige Unterschiede entsprechen. Dem Mann wird dementsprechend zugesprochen, aktiv und rational zu sein, während die Frau als passiv und emotional gilt. Männer sollen intelligenter und mit einem stärkeren Abstraktionsvermögen ausgestattet sein, den Frauen werden dagegen größere Emotionalität und Phantasie zugesprochen.

Als eine der ersten Städte in Schleswig-Holstein – neben Altona und Kiel – gründet Flensburg im Jahre 1886 eine öffentliche Höhere Mädchenschule. Seit 1912 – als die Schule einen Neubau erhält – trägt sie den Namen "Auguste-Viktoria-Schule", unter dem die heute gemischte Schule noch in Flensburg existiert. In der Höheren Mädchenschule gehen die drei bisher bestehenden privaten Mädchenschulen der Stadt auf. Verantwortlich für die Schulgründung ist das Flensburger Schulkollegium, welches für die Organisation und den Ausbau des städtischen Schulwesens zuständig ist. Die Initiatoren kommen dabei vor allem den Wünschen des städtischen Bürgertums nach einer eigenen Standesschule nach. Eine wichtige Rolle in den Planungen spielt auch, dass die bisherigen Privatschulen einer immer repressiveren Kontrolle durch die preußische Schulaufsicht unterliegen und sich in vielerlei Hinsicht schwer damit tun, den modernen staatlichen Anforderungen an das Schulwesen, zum Beispiel bezüglich der Qualifikation des Lehrpersonals, zu genügen. Hierin spiegelt sich auch die gewandelte Auffassung jener Zeit, dass Schule und Bildung immer stärker in den öffentlichen Aufgabenbereich gehören.

Am 7. Oktober 1886 weihen die Honoratioren der Stadt, die Spitzen der Verwaltung und 168 Schülerinnen mit ihren Eltern die Schule feierlich ein. Die Schule ist zunächst für die Jahrgangsstufen eins bis neun ausgerichtet, ab dem Schuljahr 1889/1890 endet der Schulbesuch erst nach der 10. Klasse. Der Schultag beginnt morgens um 8 Uhr und endet nach einer zweistündigen Mittagspause nachmittags um 16 Uhr. Die Mädchen besuchen Fächer wie Religion, Deutsch, Französisch, Rechnen, Naturwissenschaften, Englisch, Weltgeschichte, Geographie, Schreiben, Zeichen, Handarbeiten und Turnen. Besonders der Unterricht in den zwei modernen Fremdsprachen unterscheidet die Höhere Mädchenschule von den normalen Volkschulen. Der Schwerpunkt bei der Vermittlung der Unterrichtsinhalte liegt im reinen Auswendiglernen von Texten und Sachwissen und weniger im Verständnis derselben.

Obwohl die Stadtoberen den Schulneubau mit über 150.000 Reichmark aus öffentlichen Geldern finanzieren, bleibt der Schulbesuch nur wenigen Familien vorbehalten. Ist der Besuch einer normalen Volksschule in Preußen seit 1888 schulgeldfrei, so müssen Eltern, die ihre Töchter auf die Höhere Mädchenschule in Flensburg schicken, jährlich Gebühren in einer Höhe von bis zu 120 Reichsmark (1886-1900) zahlen. Die Höhe der Schulgebühren bewirkt auch, dass den Mädchen aus der Unterschicht der Zugang zur höheren Bildung verwehrt bleibt; Klassenschranken bestehen weiter. Diese Exklusivität ist für viele Familien der Mittel- und Oberschicht allerdings mit ein Grund dafür, ihre Töchter auf die "Auguste-Viktoria" zu schicken. Trotz mehrfacher Erhöhung der Gebührensätze steigt die Zahl der Schülerinnen von 168 im Jahre 1886 auf über 800 im Jahre 1918 an. Obwohl die Schule auch bei einer entsprechenden Begabung und einer nachgewiesenen Bedürftigkeit Freiplätze vergibt, nehmen kaum Familien aus der Unterschicht diese Möglichkeit wahr.

Höhere Mädchenschulen genießen zunächst nur geringes Ansehen. Das "Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten" sieht keinen Sinn in höherer Bildung für Mädchen. Der Besuch einer Höheren Mädchenschule soll die Schülerinnen auch nicht zu einer wissenschaftlichen Ausbildung befähigen, vielmehr gehe es um "religiös-sittliche Bildung" und die Erziehung zu "echter Weiblichkeit". Mädchen sollen auch maximal neun Jahre zur Schule gehen, da eine längere Schulzeit die körperlichen und geistigen Kräfte der Mädchen überfordern könne. Mit diesen Positionen stellt sich das Ministerium gegen einen Großteil der bürgerlichen Gesellschaft.

Die Akzeptanz der Mädchenschulen durch den preußischen Staat erhöht sich in den folgenden Jahren schrittweise. Nach 1896 ist die Flensburger Höhere Mädchenschule wie die Jungen-Gymnasien auch dem Provinzial-Schulkollegium in Schleswig unterstellt. Seit 1900/01 tragen auch akademisch vorgebildete Lehrkräfte der Schule den Titel "Oberlehrer". Als erste Schülerin der Mädchenschule besteht im Schuljahr 1905/06 Fräulein Thyra Funke – nach selbstständiger Vorbereitung – die "Ergänzungsprüfung im Lateinischen zur Erlangung des Reifezeugnisses" an einer reinen Jungen-Schule, dem heutigen Flensburger Alten Gymnasium. Doch erst im Zuge der preußischen Schulreform von 1908 wird die staatlich anerkannte Flensburger Höhere Mädchenschule – jetzt unter dem Titel eines Lyzeums – aufgewertet: Die Schule richtet neue Abschlüsse ein, die gerade im Hinblick auf eine spätere Berufsausübung der Mädchen entstehen. So wird der Schule ein Oberlyzeum bestehend aus einer Frauenschule und einem Lehrerinnenseminar angegliedert. Im Anschluss an das Lyzeum besteht für die Mädchen am Oberlyzeum die Möglichkeit nach einer weiteren dreijährigen Ausbildungsphase die Lehrbefähigung für mittlere und Höhere Mädchenschulen und Volksschulen zu erwerben. Der Schwerpunkt an der Frauenschule liegt in der praktischen Unterweisung in zahlreichen haushaltsnahen Tätigkeiten. Auch dort können Absolventinnen Lehrbefähigungen als Turn- und Handarbeitslehrerinnen erwerben. Nach 1908 kommen zudem weitere Berufe hinzu, die den Mädchen nach Abschluss der Schule offen stehen. Mit dem Besuch des Lyzeums sind zunehmend konkrete Berufsaussichten verbunden, was den Besuch der Schule gerade für Familien attraktiv macht, die nicht in der Lage sind ihre Töchter eigenständig zu versorgen.

Doch bis 1922 unterbleibt in Flensburg – wie auch an allen anderen Höheren Mädchenschulen in der Provinz Schleswig-Holstein – die Gründung einer Studienanstalt, die den Gymnasialabschluss für Mädchen anböte. Frauen können zwar seit 1908 an Universitäten studieren; der Weg zum Abitur bleibt für Mädchen aber zunächst wesentlich schwieriger als für Jungen.

Siehe auch:

Kaisers Geburtstag
Altes Gymnasium Flensburg
Mädchenklasse um 1906.
Die 'Auguste-Viktoria-Schule'
Auguste-Viktoria-Schule
Die höhere Mädchenschule in Flensburg
Abschlusszeugnis
Rolle der Frau

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