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"Vaterländische Erziehung" in preußischen Schulen © izrg

Nach dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. 1888 und nach Ablauf der so genannten "Sozialistengesetze" 1890 verändert der preußische Staat seine Strategie in der Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung. Aus Sicht des Regenten sind Verbote weniger wirkungsvoll als eine gezielte "Aufklärung" der Bevölkerung. Dabei dient ihm das preußische Militär in seiner Funktion als "Schule der Nation", aber vor allem als Disziplinierungs- und Erziehungsinstrument als Vorbild.

Eingebettet in ein Programm aus Sozialreformen und Arbeiterschutzmaßnahmen halten auf Drängen des Kaisers preußischer Militärgeist und nationale Elemente Einzug in die Schulen. Neben der Unterrichtung in klassischen Bildungsfächern spielt in den Schulen nun die "vaterländische" Erziehung der Mädchen und Jungen eine wichtige Rolle. Aufgabe der Lehrkräfte ist es, den Schülern und Schülerinnen durch intensive Vermittlung und Erziehung Heldentum, Nationalismus und Patriotismus näher zu bringen und damit der Arbeiterbewegung den Nachwuchs zu entziehen. Alle Schulen haben die Aufgabe, der Jugend feste "Werte" wie preußische Tugenden, unbedingte Treue zur Monarchie, zum Staat und zum Vaterland zu vermitteln. Dies geht eng einher mit einer Glorifizierung des preußischen Militarismus. Gerade Fächer wie der Geschichts- und Geographieunterricht sollen deutsche Kultur und nationale Leistungen vermitteln, Schüler und Schülerinnen "mental stärken" und sie damit gegen sozialdemokratische Einflüsse immun machen. Aus Sicht des Kaisers und der Führungseliten können die Schulen nur so ihrer wichtigen nationalen Aufgabe nachkommen und gleichzeitig die Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen verhindern.

Ordnung und Disziplin sind höchste Tugenden. Schon kleine Verstöße oder Versäumnisse bestraft beispielsweise die Schulleitung der Flensburger Gelehrtenschule mit körperlicher Züchtigung, Strafarbeiten, Arrest oder Nachsitzen. Dies gilt auch für Fehltritte außerhalb der Schule wie unerlaubte Wirtshausbesuche oder schlechtes Betragen in der Öffentlichkeit.

Wilhelm II. strebt mit seiner Schulpolitik nicht nur eine Schwächung der inneren "Feinde" in Form der Sozialisten und der Arbeiterbewegung an, sondern für ihm geht es auch um die Wehrfähigkeit Deutschlands gegenüber den anderen Großmächten. So dient auch die Ausweitung des Sportunterrichts der vormilitärischen Ausbildung.

Während bei den Jungen und Männern die Ausbildung zu Soldaten und Beamten im Vordergrund steht, kommt den Mädchen und Frauen eine andere wichtige Rolle zu: Als zukünftige "Soldatenmütter" sollen sie helfen, dieses Gedankengut durch eine entsprechende Erziehung der künftigen Generationen in der gesamten Bevölkerung zu verankern. Die Schulleitungen inszenieren Schulfeierlichkeiten in diesem Sinne. Die höhere Mädchenschule in Flensburg gedenkt beispielsweise jährlich am 27. Januar dem Geburtstag des Kaisers. Ein weiterer wichtiger Feiertag ist der Sedantag am 2. Spetember. Zu diesem Anlässen versammeln sich Schülerinnen, Lehrer, Eltern und zahlreiche Gäste in der festlich geschmückten Aula. Sie singen und beten zusammen, Schülerinnen tragen eigene Texte und Gedichte vor. Bei diesen Gelegenheiten spricht Schuldirektor Dix "über deutsches Nationalbewusstsein" (1902) oder "die deutsche Flotte als Schutz des deutschen Volkes" (1906). Bei anderen Festlichkeiten gedenken die Schülerinnen nationaler Ereignisse wie beispielsweise der Schleswig-Holsteinischen Erhebung von 1848, Todestagen von Angehörigen des Hauses Hohenzollern oder auch dem Geburtstag des preußischen Generalfeldmarschalls Helmuth Graf von Moltke. In regelmäßigen Abständen veranstaltet die Schule zudem Ausflüge zu geschichtsträchtigen Orten wie den Düppeler Schanzen oder dem Schloss Augustenburg. Alle diese Fahrten dienen der "nationalen Erbauung" der Schülerinnen. Im Deutsch- und Geschichtsunterricht setzen sich die Schülerinnen in Aufsätzen und anderen Arbeiten weitergehend mit den Themen auseinander. Nationales Gedankengut nimmt einen wichtigen Platz im Unterrichtsgeschehen und im Schulleben ein.

Die "vaterländische", aggressiv-militärische Erziehung zeigt an der Flensburger Gelehrtenschule, die seit 1882/83 "Königliches Gymnasium und Realgymnasium" heißt, Wirkung. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 melden sich etliche Lehrer und Schüler freiwillig an die Front. Der Abschlussbericht des Schuljahres 1914/15 führt allein 53 Schüler auf, die sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet haben. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits ein Lehrer und fünf Schüler gefallen. Dass die Erziehungsziele jener Zeit lange Zeit nachwirken, lässt sich ebenso an vielen Gewalttaten während der Weimarer Republik festmachen wie im Aufkommen der Nationalsozialisten, die ihre Kindheit und Jugend zum Großteil im Kaiserreich in der Zeit nach 1890 verbracht haben.

Siehe auch:

Das Alte Gymnasiums in Flensburg.
Rolle der Frau
Gymnasialklasse
Ein Kinderlied
Kaisers Geburtstag
Kriegsfreiwillige am Flensburger Gymnasium.
Auszug aus der Schulordnung des Flensburger Gymnasiums aus dem Jahre 1843.
Aufgabe der Schule

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