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Das Flensburger "Grenzlandtheater" 1933-1944 © izrg

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme versuchen die neuen Machthaber auch die Theater der "Gleichschaltung" zu unterwerfen. Das Flensburger Theater erhält in diesem Zuge einen neuen Namen: Von nun an heißt es "Grenzlandtheater". Dieser Name soll deutlich machen, wie die zukünftige bedeutsame Rolle des Flensburger Theaters zu verstehen ist: Es soll als "Kulturschaufenster" des "Dritten Reiches " Richtung Skandinavien (vorrangig nach Dänemark) wirken. Einerseits soll es das Gedankengut des "neuen Deutschland" verbreiten und für die Gemeinsamkeit des deutschen und dänischen Volkes im "Nordischen" werben; andererseits hatte es die Aufgabe, im Grenzraum gegenüber der dänischen Kultur für das Deutschtum aufzutreten.

Die nationalsozialistische Führungsriege, vor allem Adolf Hitler und Joseph Goebbels, erkennt schon früh, welche Bedeutung auch das Theater für die Verbreitung ihrer Ideen hat. Im Zuge der schrittweise vorgenommenen Gleichschaltung bedeutet dies für die neuen Machthaber, dass die "rechte Gesinnung" durch eine gezielte, geschickte Auswahl von ideologieträchtigen, aber gleichzeitig unterhaltsamen dramaturgischen Inszenierungen vermittelt werden muss. Goebbels bemüht sich, die wichtigen Leitungsfunktionen der Theater mit "linientreuen" Personen zu besetzen und kritische Intendanten zu entlassen, auch in der Provinz. Doch gerade in dem so wichtigen "Grenzlandtheater" geht die "Gleichschaltung" nicht so schnell voran, wie gewünscht.

Seit 1912 leitet Direktor Ernst Bornstedt das Theater künstlerisch sehr erfolgreich. Er gilt wegen seiner Erfolge und vor allem wegen seiner früheren Verdienste als Kämpfer für die nationale Sache in der Abstimmungszeit 1919/1920 als nichts absetzbar; auch wenn er nicht bereit ist, die politischen Forderungen der NSDAP in seinem Bühnenprogramm umzusetzen. Bereits im April 1933 fordern die "Flensburger Nachrichten" Bornstedts Absetzung, weil ihm Frühjahr 1933 kein NS-Stück Aufnahme in den Spielplan findet. Am Ende der Saison kommt schließlich doch das "erste Schauspiel des Dritten Reiches" - "Schlageter" - auf die Bühne.

In der Spielzeit 1933/34 setzt die NSDAP Spielplankontrolleure und zusätzliche Dramaturgen ein, um die "Gleichschaltung" des Flensburger Theaters voranzutreiben. Sie können die Streichung von ihnen missfallenden Stücken aus dem Spielplan durchsetzen. So ist die Spielzeit 1933/34 von der Thematik "Blut, Boden und Grenze" geprägt, um die Zuschauer mit nationalsozialistischem Gedankengut zu "berieseln". Der Aufführungsanteil des "rechten Theaters" steigt in dieser Spielzeit von 22% auf 30% an.

Der letzte Schritt zur Gleichschaltung folgt Anfang 1934. Bornstedt wird "aus Altersgründen" in den Ruhestand verabschiedet und das Theater in städtische Trägerschaft überführt. Doch auch sein Nachfolger als Intendant, das NSDAP-Parteimitglied Herrmann Nissen, ist nicht dazu bereit, die nationalsozialistischen kulturpolitischen Vorstellungen umzusetzen. Er lässt kaum Eingriffe der NSDAP in den Theaterspielplan zu. Er versucht zwar auch unpolitische Bauern- und Volksstücke zu spielen, die den Geist des Nationalsozialismus dennoch verbreiten, in der Mehrheit setzt er jedoch klassische Kulturtheaterstücke an. Der Anteil des "rechten Theaters" sinkt und die Widerstände in der NSDAP gegen Nissen wachsen. Gegen ihn besteht der Vorwurf des Verstoßes gegen die Parteidisziplin. 1937 legt Nissen seine Arbeit nach nur drei Spielzeiten nieder.

Erst mit Rolf Ziegler, der den Posten Nissens 1937 übernimmt, leitet bis zum Ende des "Dritten Reiches" ein Spielleiter das "Grenzlandtheater", der die nationalsozialistische Propaganda geschickt in sein Wirken einbezieht: Die von ihm herausgegebenen "Kulturblätter der Nordmark" beinhalteten neben unterhaltsamen, unpolitischen Äußerungen der Regisseure und Schauspieler auch wohl dosiert den Ton der "neuen Zeit", wie im ersten Heft der Spielzeit 1937/38 zu lesen ist: "Landschaft, Heimat, Volkstum sind der ewige Nährboden, aus dem sich jegliche Kultur und Kunstübung stetig erneuert und verjüngt."

Grundsätzlich aber begleiten die "Kulturblätter" den Spielplan. Und auch hier arbeitet man nach dem Propagandarezept von Joseph Goebbels: Indem man weiterhin Klassiker spielt, die durch gering veränderte Inszenierungen unterschwellig gewünschte ideologische Botschaften vermitteln, stillen die Stücke gleichsam das Bedürfnis des Publikums nach Unterhaltung wie das der Nationalsozialisten nach Beeinflussung; denn rein politische Stücke haben beim Publikum keinen Erfolg. Außerdem integriert Ziegler Theaterstücke "deutsch-völkischer Art" in die Spielplangestaltung, die von parteinahen Dichtern stammen, verfasst "im Sinne der nationalen Überlieferung und des deutschen Schicksals, nordisch-germanisch im Sinne der Rasse".

Mit dem Kriegsbeginn am 1. September werden die "nordischen Stücke" aus dem Spielplan genommen. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Ablenkung fordern die Menschen vom Kriegsalltag: Die Anzahl der Unterhaltungsstücke - Komödien und Operetten - übersteigt die Anzahl der Propagandadramen. Bedingt durch die schlechte Versorgungslage mit "unbedenklichen" Komödien spielt das "Grenzlandtheater" sogar ein Theaterstück von Erich Kästner (unter dem Pseudonym Robert Neuner), obwohl die Nationalsozialisten 1933 seine Bücher verbrennen ließen. Der Anteil des "rechten Theaters" sinkt in der Spielzeit 1941/42 auf 12 %.

Im Jahr 1944 steht für die Stadt Flensburg die Trennung von Rolf Ziegler fest; sie wird jedoch auf Grund des Kriegsendes nicht mehr vollzogen: In Deutschland sollen alle Theater am 1. September 1944 schließen, das Grenzlandtheater spielt noch bis 6. September.

Siehe auch:

Faust-Aufführung 1934

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