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Talentschmiede - das Kieler Theater in den 1920er Jahren © izrg

In der Weimarer Republik spielt das Kieler Theater auf zwei Bühnen, im 1907 eingeweihten Theaterbau am Rathaus und in der Holtenauer Straße. 1919 übernimmt Max Alberty die künstlerische Leitung der Kieler Theater, die jetzt in städtische Trägerschaft übergehen. Alberty ist Sozialdemokrat, war in der Revolution 1918 Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates in Dresden. Für ihn hat ein Theaterintendant die Aufgabe, das Volk zu erziehen. Das nimmt man ihm in Kiel übel. Alberty begegnet Widerständen, nach seinem Tod 1922 überlegt man sogar, das Theater zu schließen. Seine Nachfolger bleiben jeweils nur eine Spielzeit. Es herrscht Chaos: im Theater, auch in der Kulturpolitik, wie in der ganzen Republik im Inflationsjahr 1923.

Aber gleichzeitig bietet diese Phase Möglichkeiten zum kreativen Experiment und zur Förderung von Ausnahmetalenten: 1921 kommt der 21-jährige Gustaf Gründgens ins Ensemble, 1922 spielt er hier "seine Rolle", die in später berühmt machen wird: den Mephisto in Goethes Faust. Im selben Jahr erhält der 19-jährige Hans Söhnker ein Engagement. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie vom Kieler Ostufer, hat eine kaufmännische Lehre gemacht - und Schauspielunterricht genommen. Intendant Curt Elwenspoek gibt ihm die Chance seines Lebens. Und Ernst Busch: Auch er stammt aus einem Arbeiterhaushalt, beginnt 1915 seine Lehre auf der "Krupp-Germania Werft" und zählt zur kulturell interessierten und wissensdurstigen "Arbeiterjugend" in Kiel. Arbeitskollegen verspotten seine künstlerischen Ambitionen. Busch wird Anhänger der USPD, später der KPD. 1921 ist er arbeitslos. Intendant Alberty lässt ihn rezitieren - und engagiert den 21-jährigen als Schauspieler. Busch stolz zu seinem Vater: "Ik bün jetzt am Stadttheater!" Die Antwort: "Ober din Nomen bruckst du nie to verennern."

Als Dramaturg arbeitet zur selben Zeit Carl Zuckmayer in Kiel. Er experimentiert in diesem Milieu junger, aufstrebender Künstler. Das von Zuckmayer aufbereitete antike Lustspiel "Der Eunuch" bringt den - wohl kalkulierten - Eklat und das Ende der turbulenten Theaterphase: Die Stadt kündigt Intendant Elwenspoek fristlos. Zuckmayer bleibt zunächst, aber er muss schließlich gehen, als er gegen "engstirnige Verwaltungsbonzen, gegen Dunkelmänner und Maulwürfe des Betriebes, gegen das katastrophale Niveau der zünftigen Kritik" wettert.

Söhnker und Busch wechseln zusammen mit Intendant Brockman 1924 nach Frankfurt an der Oder. Später trennen sich die Wege, Busch geht nach Berlin, arbeitet unter anderem mit Bertolt Brecht und Erwin Piscator, den künstlerischen Vorkämpfern der 1920er Jahre. 1933 emigriert er, nimmt 1937 am spanischen Bürgerkrieg teil, wird später in Frankreich verhaftet und an Deutschland ausgeliefert, 1944 kommt er ins Zuchthaus Brandenburg. Gustaf Gründgens, sein Kollege aus Kieler Tagen, inzwischen höchst erfolgreich, rettet ihm das Leben, wie Busch später in der DDR betont. - Sehr verschiedene Wege mit Wurzeln in der wilden Zeit am Kieler Theater.

Siehe auch:

Der Weg zur Bühne.

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