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Vergangenheitsbewältigung © izrg

"Schleswig-Holstein stellt fest, dass es in Deutschland nie einen Nationalsozialismus gegeben hat." Der schwierige Umgang mit der NS-Vergangenheit.

Mit dem Ende der NS-Herrschaft stellte sich die Frage nach dem Umgang mit dieser Vergangenheit, die Nachkriegszeit musste auch einer "Vergangenheitsbewältigung", wie man es seither mit einem sperrigen Begriff fasst, dienen. Die alliierten Siegermächte des "Zweiten Weltkriegs" stimmten im Ziel einer breit angelegten "politischen Säuberung" und der strafrechtlichen Verfolgung der nationalsozialistischen Verbrechen überein, um die Wiederherstellung eines gefährlichen Deutschlands zu verhindern und für Sühne zu sorgen. Beabsichtigt waren eine strafrechtliche Aufarbeitung, die Reinigung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft vom nationalsozialistischen Gedankengut und den personellen Altlasten sowie eine "Wiedergutmachung" erlittener Schäden und Verletzungen. Die britische Besatzungsmacht in Schleswig-Holstein erklärte als Globalziele die "denazification" und die "reeducation", wobei zur "Umerziehung" auch demokratische Strukturen, eine neue Presselandschaft und ein reformiertes Bildungswesen beitragen sollten.

Zunächst internierten die Briten in Schleswig-Holstein im "Civil Internment Camp No.1" in Neumünster-Gadeland neben den Kriegsgefangenen vorsorglich viele Funktionsträger des NS-Staates - zum Beispiel alle höheren Angehörigen von Polizei und "Gestapo", die NSDAP-Funktionäre, alle Landräte sowie viele Führungskräfte der staatlichen Verwaltung. Hinzu kamen mutmaßliche Kriegsverbrecher, wie ehemaliges KZ-Personal. Im Herbst 1945 zählte man hier etwa 10.000 Internierte, unter ihnen ungefähr 500 Frauen. Jeder dritte "Zivilinternierte" in der britischen Zone befand sich allerdings schon wieder im Sommer 1946 auf freiem Fuß.

Die strafrechtliche Aufarbeitung war in den ersten Nachkriegsjahren verworren und dem ständigen Wandel unterworfen: Die "Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse" betrafen nur eine extrem kleine NS-Elite, die anderen Verfahren fanden vor alliierten Gerichten und mit wachsender Zuständigkeit auch vor deutschen Gerichten statt. Die Bilanz der deutschen Justiz in Schleswig-Holstein: Insgesamt ermittelte die Gerichte bis Ende 1964 in über 830 Verfahren gegen mehr als 1.900 Personen, gegen mehr als 1.100 Personen sind die Verfahren aus Mangel an Beweisen, auf Grund eingetretener Verjährungen oder der Straffreiheitsgesetze eingestellt, gegen 520 Personen wurde noch ermittelt. Zwar hatten die schleswig-holsteinischen Gerichte bis 1964 mindestens 230 Angeklagte rechtskräftig verurteilt, allerdings 110 von ihnen freigesprochen.

Auch der Prozess der politischen Säuberung verlief anders als geplant. Unmittelbar nach Kriegsende hatten die Besatzer zunächst viele Entlassungen aus dem Öffentlichen Dienst veranlasst, beispielsweise musste jede vierte Lehrkraft gehen. Dann aber begann das riesig dimensionierte reguläre Verfahren der "Entnazifizierung". Insgesamt "entnazifizierte" man im Massenverfahren hier circa 406.500 Menschen. 99,4 % der Betroffenen gingen schon vor 1951 völlig entlastet oder mit geringen Geldbußen belegt aus den Verfahren hervor. Mit der Bildung der bürgerlichen Regierungskoalition aus BHE, CDU, FDP und DP 1950 setzte der Landtag sofort die Säuberung aus, und im März 1951 folgte nach konfliktreichen Debatten das "Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung". Schleswig-Holstein stellte damit die verbliebenen "Belasteten" und "Mitläufer" automatisch mit "Entlasteten" gleich, alle Sanktionen waren hinfällig.

Ab 1950 setzte ein unverkrampftes und selbstbewusstes personelles Rollback ein. Zahlreiche zunächst entlassene Angehörige des Öffentlichen Dienstes wurden wieder eingestellt - auch aus finanziellen Gründen, da sie durch ein Bundesgesetz einen Wiedereinstellungs- beziehungsweise verbesserten Versorgungsanspruch hatten. In der Polizei, in Schulen und Hochschulen sowie in der Verwaltung, überall das gleiche Phänomen: Wiedereinstellung und Fortsetzung von unterbrochenen Karrieren. Gleichwohl sorgten während der 1950er Jahren eine Reihe aus dem Rahmen fallender Integrationsangebote, Versorgungsbescheide und juristische Fehlleistungen für bundesweite Aufmerksamkeit und Mediendruck, so dass sich Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel 1961 sogar in einer Regierungserklärung rechtfertigte.

"Vergangenheitsbewältigung" schloss auch den Versuch ein, Unrecht und erlittenes Verfolgungsleid der NS-Zeit "wiedergutzumachen", in Form von Entschädigungen für Schäden an Leben, Freiheit, Gesundheit oder beruflicher Karriere, sofern sie auf rassische, nationale, religiöse oder politische Verfolgungsmaßnahmen während der NS-Zeit zurückzuführen waren, oder Rückerstattungen. Die Zahlungen setzten allerdings Bedürftigkeit voraus.

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