v i m u . i n f o
Dansk version

Barschel-Affäre © izrg

Kaum ein politischer Skandal erlangte in der Geschichte der Bundesrepublik eine derartige Aufmerksamkeit wie die "Barschel-Affäre" im Jahre 1987.

Knapp eine Woche vor der schleswig-holsteinischen Landtagswahl im September 1987 erschien ein „Spiegel“-Artikel unter dem Titel „Waterkantgate“. Berichtet wurde von „dirty tricks“ im Wahlkampf: Ein anonymer Informant verbreitete Einzelheiten über Machenschaften gegen den SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm: Die CDU hätte illegal in Steuerakten recherchiert und den Oppositionsführer durch eine Detektei observieren lassen. Es roch nach einem großen Skandal und der „Spiegel“ stellte den Bezug zu „Watergate“ her, jener Affäre um US-Präsident Nixon, die die amerikanische Demokratie erschütterte. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel wies alle Vorwürfe zurück.

Am 12. September – einen Tag vor der Wahl – meldete der Radiosender „NDR2“, der „Spiegel“ behaupte, Barschel persönlich habe die Intrigen in Auftrag gegeben. Kronzeuge sei ein Pressereferent namens Reiner Pfeiffer. Barschel kündigte daraufhin erregt eine Pressekonferenz an, auf der er nochmals betroffen auf die Abwegigkeit der Vorwürfe hinwies.

Bei der Landtagswahl am 14. September wurde die SPD mit 36 Abgeordneten zwar stärkste Fraktion im Landtag, die CDU und die FDP verfügten jedoch gemeinsam über 37 Plätze und Karl-Otto Meyer vom SSW verfügte über einen Sitz. Im Kieler Landtag herrschte eine Patt-Situation. Ministerpräsident Barschel blieb zunächst im Amt und trat am 18. September für mehr als drei Stunden vor die Medien, das „N3“-Fernsehen übertrug live: Barschel erklärte, dass alle Behauptungen, die Pfeiffer erhoben habe, falsch seien: Er bezog sich auf eidesstattliche Versicherungen von acht Mitarbeitern. Und schließlich: „gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holstein und der gesamten deutschen Bevölkerung mein Ehrenwort, ich wiederhole: ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind!“ Das Misstrauen gegen Barschel aber wuchs weiter.

Am 25. September erklärte der in die Enge getriebene Ministerpräsident seinen Rücktritt. Barschel übernahm die „politische Verantwortung“, obwohl die Dinge „ohne sein Mitwirken und Mitwissen“ geschehen seien. Der Landtag einigte sich auf Neuwahlen und die Einleitung eines Untersuchungsausschusses'. In die Aufklärungsarbeiten dieses Ausschusses platzte am 11. Oktober die Nachricht vom Tod Barschels: Zwei „Stern“-Reporter hatten Barschel in einem Genfer Hotel tot in einer Badewanne aufgefunden. Als Todesursache stellten die Schweizer Ermittler eine Medikamentenvergiftung fest.

Die „Barschel-Affäre“ hatte erhebliche Konsequenzen für das Bundesland Schleswig-Holstein. Die Mehrheitsverhältnisse im Landtag veränderten sich im Mai 1988 grundlegend: Mit 54,8 % der Stimmen gewann die SPD die absolute Mehrheit. Die CDU sank auf 33,3 %, ihr schlechtestes Ergebnis seit 1954. FDP und „Grüne“ scheiterten. Der neue Landtag wählte Björn Engholm zum Ministerpräsidenten. Seine Regierung begann auf allen landespolitischen Feldern ihr politisches Reformprogramm. Es wurden auch Symbole gegen den Machtmissbrauch gesetzt: Wichtige Positionen im Land wie die Spitze des „Landesrechnungshofes“ wurden ausdrücklich mit Vertretern anderer Parteien besetzt. Ein Sonderausschuss des Landtages erarbeitete unter Leitung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Gert Börnsen 1989/90 den Entwurf einer neuen Landesverfassung, die im Mai 1990 einstimmig verabschiedet wurde: Sie stärkte Rechte und Arbeit der Opposition, die Landesregierung musste von nun an Aktenvorlage gewähren, die Amtszeit der Ministerpräsidenten ist seither an die Wahlperiode gebunden, der Landtag kann sich selbst auflösen, es gibt neuerdings das Recht des Volksentscheides und Gleichstellung sowie Minderheitenschutz sind Staatsziele. Und schließlich beschloss der Landtag auch ein neues Untersuchungsausschussgesetz mit klaren Verfahrensregeln und weitgehenden Rechten.

Die Wahl 1992 brachte ein Stück Normalität. Die CDU erreichte 33,8 % der Stimmen, die SPD sank auf 46,2 %, die FDP schaffte den Einzug ins Parlament mit 5,6 %, die „Grünen“ verfehlten ihn mit 4,97 % haarscharf, der SSW behielt seinen Sitz und – die eigentliche Überraschung – die rechtsextreme DVU konnte mit 6,3 % in den Landtag einziehen. Das Kabinett Engholm regierte mit knapper absoluter Mehrheit weiter.

Anfang März 1993 kehrte plötzlich die Vergangenheit zurück: Der SPD-Politiker Günther Jansen erklärte, dass er für Reiner Pfeiffer eine große Summe Bargeld in einer Schublade gesammelt und ihm bar übergeben hätte. Björn Engholm, der inzwischen auch Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD war, trat im Zuge dieser „Schubladenaffäre“ zurück.

Auch 20 Jahre nach dem Beginn dieser Affäre, die die politische Kultur Schleswig-Holsteins tiefgreifend verändert hat, ist der „Fall Barschel“ nicht lückenlos aufgeklärt. Immer wieder entstehen dazu neue oft mehr als zweifelhafte Mutmaßungen.

Diese Geschichte erscheint in folgenden Themen:
Politik in der Region
Um diese Inhalte anzusehen, wird der Flashplayer 9 benötigt. Zum Download
case storyFallbeispiele
multimediaMultimedia
photosAbbildungen
audio Audio
imageBiografien