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Jugend © izrg

Was ist "Jugend"? Wie verändert sich die Bedeutung des Begriffs im Laufe der Zeit? - Überlegungen zur Begriffsgeschichte und zum Rechtsstatus von "Jugend"

Um 1870 befand sich ein Großteil der deutschen "Jugendlichen" im Gefängnis; der übrige Teil hatte das Zuchthaus entweder bereits hinter sich oder war zumindest potentiell gefährdet in naher Zukunft dort hinzugelangen. Der Grund hierfür lag aber weder in der übermäßigen Verrohtheit der Jugend, noch in dem strengen Strafrecht des Kaiserreiches. Vielmehr ist es der Begriff des "Jugendlichen", der uns heute in die Irre führt. Der Ausdruck stammt ursprünglich aus der "Rettungshausbewegung" und bezeichnete Ende des 19. Jahrhunderts "verwahrloste", "kriminelle" oder "gottlose" Heranwachsende, die meist dem städtischen Arbeitermilieu entstammten. Heranwachsende aus besserem Hause folgten zu dieser Zeit dem traditionellen Leitbild des "Jünglings". Im Zuge der Verstädterung durch die fortschreitende Industrialisierung verblasste dieses Jugendkonzept jedoch zunehmend, da es mit der Lebensrealität der meisten Heranwachsenden nichts mehr gemein hatte. Der Begriff "Jugendlicher" setzte sich im Sprachgebrauch durch und wird spätestens seit den 1920er Jahren in der Regel wertfrei verwendet.

Das Bedürfnis, die Gruppe der jungen Menschen umfassend zu benennen, lag nicht zuletzt an dem erstarkten Selbstbewusstsein der Heranwachsenden zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Jugend wurde aktiv und organisierte sich selbst. Zahlreiche Jugendorganisationen gründeten sich auch in der Region, die Jugendbewegung entstand, in der bürgerliche Jugendliche in einem individuellen, naturnahen Leben eine Alternative zum autoritären Leben in Schule und Familie suchten. Die erheblich größere Gruppe der Lehrlinge und Jungarbeiter, die meist in der sozialistischen Arbeiterbewegung organisiert waren, forderte Arbeitsschutz und Weiterbildung. Die Gesellschaft nahm die Jugendlichen somit erstmals als eigenständige Bevölkerungsgruppe wahr, die ihre jeweiligen Interessen vertrat.

Auch die Rechtslage für die Heranwachsenden entspannte sich: Mit der Einführung des "Bürgerlichen Gesetzbuches" im Jahr 1900 setzte der Staat die Volljährigkeit auf 21 Jahre herab und sprach den jungen Erwachsenen weitere Rechte zu. Insbesondere die demokratischen Errungenschaften in der "Weimarer Republik" wirkten sich positiv auf die Jugend aus. So verabschiedete der Reichstag im Jahr 1923 schließlich ein eigenes Strafrecht für Heranwachsende, das Jugendstrafrecht. Einige dieser allgemeinen Lockerungen nahm der NS-Staat zwischen 1933 und 1945 jedoch wieder zurück: Er versuchte, die Jugend auch jenseits der staatlichen Jugendorganisation "Hitler-Jugend" (HJ) – alle anderen Jugendorganisationen mussten sich auflösen oder wurden verboten – zu kontrollieren. Neue Gesetze reglementierten Vergnügungen wie den Besuch von Gaststätten, Kinos und Tanzveranstaltungen sowie den allgemeinen Aufenthalt außer Haus nach Einbruch der Dunkelheit.

Die Lebensphase der Jugend wird seit jeher mit Begriffen wie "Unbeschwertheit" oder "Freiheit" verbunden. Tatsächlich trifft dies für einen Grossteil der Jugend erst seit einigen Jahrzehnten zu. 1905 waren in Preußen unter 3 % der 11- bis 19-jährigen Gymnasiasten, eine Gruppe, die zu dieser Zeit ihre Jugend relativ unbeschwert verbringen konnte. Die Masse der Altersgenossen schuftete in Industrie, Haushalt, Landwirtschaft, Handel und Handwerk. Durch die beiden Weltkriege und die Wirtschaftkrise Ende der 1920er Jahre, die eine erhebliche Jugendarbeitslosigkeit zu Folge hatte, erlebten Generationen von Heranwachsenden eine Jugend fernab jeglicher Idylle. Doch auch nach 1945 blieb die Lage der Kinder und Jugendlichen in Europa schwierig. Im Jahr 1948 lebte infolge des Krieges und der Flucht nur die Hälfte der 5,5 Millionen westdeutschen Schulkinder bei ihren Eltern.

Erst die Nachkriegsgeborenen kamen Stück für Stück in den Genuss einer verhältnismäßig ungetrübten Jugend. Hierzu trug im Laufe der Jahre vor allem die durchschnittlich längere Dauer des Schulbesuches bei. Heute ist wohl unbestritten, dass Jugend, unabhängig von der rechtlichen Definition, nicht pünktlich mit dem 14. Geburtstag beginnt und schließlich mit der Vollendung des 18. Lebensjahres endet. Doch mehr und mehr ist Jugend in unserer Gesellschaft eine Frage von Herkunft, Lebensumständen und persönlicher Einstellung geworden. Gymnasiasten erscheinen oft jugendlicher als gleichaltrige Lehrlinge, die bereits in einem geregelten Arbeitsverhältnis stehen. Gleichzeitig ist der "Mythos Jugend" populär wie nie; durch die Übernahme junger Ideen, von Kleidungsstil und Symbolen scheint es auch noch mit 30 oder 40 Lebensjahren sowohl möglich als auch attraktiv, jugendlich zu wirken.

Diese Geschichte erscheint in folgenden Themen:
Jugend und Schule
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