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APO © izrg

Auch in der schleswig-holsteinischen Provinz protestiert die "Außerparlamentarische Opposition" (APO).

"Busfahrer erlitt Nervenschock" lautete die Schlagzeile der "Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung" am 2. Februar 1968. Tags zuvor hatten mehrere hundert Schülerinnen, Schüler und Studierende mit Sitzblockaden den öffentlichen Personennahverkehr in der Kieler Innenstadt zum Erliegen gebracht. Damit protestierten sie gegen die Fahrpreiserhöhungen der KVAG ("Kieler Verkehrsaktiengesellschaft"). Während dieser Aktion bedrängten einige Jugendliche einen Busfahrer, der, so die Zeitung, bespuckt und mit Feuerlöschschaum bespritzt worden sei. Außerdem sei der Bus demoliert, die Reifen zerstochen und eine Fensterscheibe eingedrückt worden. In den folgenden Tagen nahmen die Proteste zu. Schließlich eskalierte die Lage, die Polizei ging mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor, es gab Verletzte, einige Jugendliche erstürmten gar das Straßenbahndepot der KVAG.

Die Proteste der Schüler und Studierenden in Kiel standen im Zusammenhang einer größeren Bewegung, der so genannten "Außerparlamentarischen Opposition" (APO) in der gesamten Bundesrepublik. Seit 1966 regierte auf Bundesebene eine Koalition aus den beiden großen Volksparteien CDU/CSU und SPD unter dem Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und dem Außenminister Willy Brandt. Diese so genannte "Große Koalition" verfügte über mehr als 2/3 der Stimmen im Bundestag. Damit fiel die Stimme der einzig verbliebenen Oppositionspartei im Parlament, der FDP, kaum mehr ins Gewicht. Vor allem der jungen Generation erschien das als Defizit der parlamentarischen Demokratie. Opposition sollte daher von außerhalb des Parlaments betrieben werden, von der Straße aus.

Zahlreiche jüngere Menschen, vorwiegend Gymnasiasten und Studierende, sahen in der Bundesrepublik einen autoritären Staat. Der Staatsbesuch des persischen Schahs im Juni 1967 bot ihnen Anlass für diese Sichtweise: Polizei und persische Geheimdienstleute knüppelten brutal auf Demonstranten ein, ein überforderter Polizisten erschoss den Studenten Benno Ohnesorg, von hinten und mit Kopfschuss. Noch im selben Jahr sprach ein Gericht den Schützen frei. Auch die Verabschiedung der "Notstandsgesetze" im Mai 1968 rief Zweifel hervor. Nicht zuletzt empörte der Vietnamkrieg des verbündeten NATO-Partners USA die Menschen.

Die Zentren der Protestbewegung bildeten die Hochschulen der Metropolen Frankfurt, München und vor allem West-Berlin. Treibende Kraft der APO war hier der "Sozialistische Deutsche Studentenbund" (SDS) mit Rudi Dutschke an der Spitze. Aber auch in anderen Hochschulstädten formierte sich der Protest der APO zu einer beachtlichen Bewegung. So auch in Kiel, Flensburg, Rendsburg und Lübeck, wenn auch etwas zeitverschoben.

Nach dem Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 demonstrierten über 1.000 Studierende in Kiel, einen Monat später fand das erste "Sit in" vor dem Senat der Universität statt: Die Studierenden forderten die Ablehnung einer neuen Hochschulverfassung. Die zunehmende Politisierung zeigte sich auch in der hohen Beteiligung an den Wahlen zum Studentenparlament, die von 20% auf 60% hochschnellte. Nach massiven Protesten nahm Kultusminister von Heydebreck (CDU) die geplante Zwangsexmatrikulierung von Langzeitstudenten zurück. Die Reform der Universität betraf die Studierenden unmittelbar, ihre Strukturen erschienen veraltet und undemokratisch. Bei gezielten Regelverstößen, "Happenings" und Aktionen der APO kam es immer wieder zu umstrittenen Gewalttätigkeiten - und das nicht nur gegen Sachen. Auch die Schulen wurden vom Protest erfasst. An der "Kieler Gelehrtenschule" beispielsweise eskalierte der Konflikt zwischen Schulleitung und einigen Schülern. Zwei Schüler wurden schließlich der Schule verwiesen.

Die Ostermärsche 1968 in Flensburg, Lübeck und Kiel standen im Zeichen des Vietnamkriegs, der "Notstandsgesetze" und vor allem des Attentats auf Rudi Dutschke am 11. April. Die Proteste richteten sich auch gegen die "BILD-Zeitung" des konservativen Verlegers Axel Springer, die in den Monaten zuvor Stimmung gegen die APO und Dutschke gemacht hatte. Auch das "Flensburger Tageblatt" wurde in den folgenden Monaten zur Zielscheibe von Aktionen. Höhepunkt war hier im April 1969 der Versuch, die Auslieferung der Zeitung mit Sitzblockaden zu verhindern.

Mit der Selbstauflösung des SDS 1970 endete die APO, die einflussreiche Bewegung von einer Minderheit von etwa einem Zehntel aller Studierenden. Die Bewegung zerfiel. Bereits 1968 hatte sich mit der DKP eine kleine kommunistische Splitterpartei gegründet. Die Debatten an den Hochschulen bestimmten fortan die sogenannten "K-Gruppen". Aus einem Splitter der APO entstand die terroristische "Rote Armee Fraktion" (RAF). Doch von diesen irrtümlichen Wegen, die nur eine kleine Minderheit beschritt, einmal abgesehen, gingen von der APO viele positive Impulse in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen aus: Die (vorgebliche) Befreiung der Sexualität, die Auflösung autoritärer Erziehungsstrukturen, die Frauenbewegung, die Bürgerinitiativen, die Friedensbewegung und schließlich die Umweltbewegung prägten nachhaltig das Gesicht der westdeutschen Gesellschaft und Demokratie.

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