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Lübeck-Herrenwyk © izrg

Industrieller Strukturwandel in der Region am Beispiel der Metallhüttenwerke "Herrenwyk".

"Ihr könnt doch unseren Betrieb nicht kaputtgehen lassen, das geht doch nicht!" - So hatten ehemalige Hüttenarbeiter auf die Schließung des Hochofenwerks in Lübeck-Herrenwyk 1981 reagiert. Was ihnen so unvorstellbar erschien, war nichts anderes als der ganz unmittelbare und konkrete Ausdruck jenes Strukturwandels in der Schwerindustrie, der in den 1970er und 1980er Jahren - für die betroffenen Arbeitnehmer schmerzhaft spürbar - stattfand. Stahlindustrie, Kohle und Schiffbau, die sehr gewichtigen Symbole des Industriezeitalters, machten in ganz Europa Krisen durch, die zu erheblichen Schrumpfungen führten und die wirtschaftliche Landschaft erheblich wandelten. In Schleswig-Holstein glühte seitdem kein Hochofen mehr.

Das 1905 gegründete und 1907 in Betrieb gegangene Werk am Nordufer der Trave erlebte nach dem "Zweiten Weltkrieg" eine Expansionsphase: Schon 1948 arbeitete der zweite Hochofen wieder. Auch die Zementfabrik erweiterte man und modernisierte die Kupferhütte - mit maßgeblicher Unterstützung durch den Marshallplan. 1955 produzierte das Hochofenwerk 250.000 Tonnen Roheisen. Der Name wurde in "Metallhütten Lübeck AG" geändert und die Firmenstruktur innerhalb des Flickkonzerns 1959 gewandelt. Anfang der 1960er Jahre betrug die Roheisenproduktion jährlich 300.000 Tonnen, und die Kokerei versorgte die Stadt Lübeck mit Gas. Arbeitskräfte waren während der Vollbeschäftigung knapp, wie anderswo auch. Die Firma warb "Gastarbeiter" an; der Anteil ausländischer Arbeitnehmer stieg schließlich auf fast ein Viertel.

Aber schon mitten in der Blüte, in den 1960er Jahren, trat, noch kaum spürbar, die Wende ein. Eigenmittel für Modernisierungsinvestitionen fehlten. Dann folgten die konkreten Krisenerscheinungen: 1969 kündigte Lübeck den Gaseinkauf, die Stadt stellt auf das sicherere Erdgas um. Anfang der 1970er Jahre fiel der Kupferpreis auf dem Weltmarkt - auch um die sozialistische Regierung Salvador Allendes in Chile unter Druck zu setzen - und schließlich setzte Mitte der 1970er Jahre die Krise auf dem europäischen Eisen- und Stahlmarkt ein. Überproduktionen und Billigangebote aus Schwellenländern machten es nötig, die Kapazitäten der Stahl- und Eisenproduktion drastisch herunterzufahren.

Noch 1975 kaufte der amerikanische Konzern "US-Steel" das Metallhüttenwerk, im selben Jahr bereits fiel die Produktion von 470.000 Tonnen auf nurmehr 280.000 Tonnen Eisen. Öffentliche Träger kauften Stützungsbeteiligungen für 10 Millionen DM, das Landesarbeitsamt gewährte 12 Millionen DM an Beihilfen, aber schon im Jahr darauf suchte "US-Steel" nach einem Weg, ohne große Kosten - und ohne Beteiligung an der Sanierung des verseuchten Hüttengeländes - auszusteigen. 75 Prozent des Grundkapitals im Nennwert von 73 Mill. DM stieß "US-Steel" für symbolische 2 DM an einen undurchsichtigen Rechtsanwalt aus Wuppertal ab, worauf die Banken aktiv wurden. Eine Unternehmensberatung analysierte 1972 den Betrieb, der innerhalb von zehn Jahren seine Belegschaft halbiert hatte. Überrascht notierten die Wirtschaftsprüfer, dass trotz der vielen Kündigungen weiterhin "eine sehr hohe Identifikation der Mitarbeiter aller Stufen" mit dem Unternehmen erkennbar sei. Diese Verbundenheit beruhte nicht zuletzt auf der besonderen Wohn- und Lebenssituation der Bewohner der Werkssiedlung, wo ein Grossteil der Belegschaft lebte und eine Welt für sich bildete.

Noch einmal schien es bergauf zu gehen, 1980 gab es sogar einen kleinen Gewinn, aber am 18. August 1981 beantragte die Geschäftsleitung den Konkurs und damit das Aus für die verbliebenen 1.000 Arbeitnehmer. Es trat Stille ein in Herrenwyk. Die drei Hochöfen verrotteten. Nur die Kokerei arbeitete 1984 mit 170 Mitarbeitern, auch das Zementwerk. Es blieb eine kurze Scheinblüte. 1990 ordnete der Staat die Stilllegung der Kokerei an, aus Sicherheits- und Umweltschutzgründen.

Der Niedergang des Hochofenwerkes vollzog sich im Zusammenhang einer europaweiten Entwicklung auf dem Sektor der eisen- und stahlproduzierenden Industrie, die seit Mitte der 1970er Jahre allerorten auch von Arbeitsplatzabbau gekennzeichnet war.

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Industrieller Strukturwandel
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