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Von der Meuterei zur Revolution © izrg

Die Geschehnisse in Kiel in den ersten Novembertagen 1918.

Wilhelmshaven Ende Oktober 1918: Auf den dort liegenden Schiffen der Reichsmarine kursieren Gerüchte über die Vorbereitung einer letzten Seeschlacht – trotz des abzusehenden Kriegsendes. Die Marineführung strebt einen ehrenvollen“ Untergang der Flotte an. Einige Schiffsbesatzungen wollen das nicht akzeptieren, rufen mit Flugblättern zu Protesten auf. Die Flottenleitung reagiert darauf, indem sie die Schiffe auseinander zieht und das III. Geschwader der Hochseeflotte mit sechs Schiffen und über 5.000 Mann Besatzung nach Kiel beordert. Noch auf dem Weg dorthin lässt die Flottenführung in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November im Nord-Ostsee-Kanal 47 Matrosen, angebliche Rädelsführer, verhaften und in Kieler Arrestanstalten einliefern.

Der Abend des 1. November 1918 verläuft in Kiel noch wenig dramatisch: 250 Matrosen versammeln sich im Gewerkschaftshaus. Sie fordern die Freilassung ihrer inhaftierten Kameraden und beraten, wie sie ein weiteres Auslaufen des Geschwaders verhindern können. Am nächsten Tag wollen sie eine erneute Versammlung abhalten. – Mehr geschieht nicht. Aber dies spricht sich rum, bei anderen Matrosen, in der örtlichen Arbeiterbewegung, auch bei Offizieren, die den Landgängern am nächsten Tag ein Betreten des Gewerkschaftshauses verbieten.

Am Abend des 2. November versammeln sich die Matrosen im Freien: Fast 600 Teilnehmer treffen auf dem Exerzierplatz im Vieburger Gehölz zusammen, um die Freilassung der Inhaftierten zu fordern – in der Mehrheit Matrosen des III. Geschwaders, aber auch Angehörige der Landmarine und einige USPD-Vertrauensmänner. Zum ersten Mal formulieren einige der Protestierenden auch politische Forderungen. Noch in der Nacht stellen USPD-Funktionäre Flugblätter her, die Kieler Arbeiter zur Unterstützung der Proteste aufrufen.

Die Lage spitzt sich am Abend des 3. Novembers zu: Über 5.000 Menschen, Matrosen und Zivilisten, kommen zum Exerzierplatz, um ihren Forderungen nach Frieden und Freiheit Ausdruck zu verleihen: Ein Demonstrationszug zieht Richtung Feldstraße zur Befreiung der inhaftierten Kameraden. Doch einer der letzten der Marineleitung loyalen Truppenteile, eine Ausbildungseinheit, die sich in die Enge getrieben fühlt, schießt: Sieben Menschen sterben, 29 werden verletzt. Schon vorher hat der Gouverneur, der im Kriegszustand Inhaber der vollen Gewalt ist, Vizeadmiral Wilhelm Souchon, das Reichsmarineamt in Berlin telegrafisch um Hilfe gebeten.

Am folgenden Tag solidarisieren sich örtliche Marineabteilungen und Belegschaften großer Werften mit dem Protest. Sie streiken. Souchon empfängt eine Abordnung der Aufständischen, die neben der Freilassung der Matrosen die Abdankung Kaisers und die Einführung des allgemeinen Wahlrechts verlangt. – Das sind revolutionäre Forderungen! Am Abend trifft unter großem Jubel der Revolutionäre die Delegation aus Berlin ein: der linksliberale Reichstagsabgeordnete und Staatssekretär Conrad Haußmann und der (M)SPD-Abgeordnete Gustav Noske. Ihm vertrauen die Matrosen: als Vertreter der friedensbereiten Reichsregierung und SPD-Wehrexperte. Abends finden Verhandlungen statt, in denen die Aufständischen ihre Forderungen wiederholen und radikalisieren. Die Berliner Delegation hat jedoch keine Handlungskompetenz für weit reichende Fragen. Zeitgleich gründet sich der erste Soldatenrat der Deutschen Revolution und verabschiedet mit den "14 Kieler Punkten" sein Programm, in dem Ansprüche zum alltäglichen Leben der Soldaten politische Forderungen dominieren. Der Soldatenrat verfügt über revolutionäre Macht, aber ein klares Bild von der Zukunft existiert nicht.

Der Tag danach verläuft chaotisch: Es gibt Rangeleien, bei verschiedenen Schießereien sterben zehn Menschen. Prinz Heinrich, der – bisher unbehelligt inmitten des Aufruhrs – in Kiel lebende Bruder des Kaisers und Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte, entschließt sich zur Flucht in einem mit einer Roten Fahne getarnten Auto. Jemand erkennt ihn, bei einer Schießerei stirbt ein Soldat, doch der Prinz kann seine Fahrt fortsetzen. Den Gouverneur aber nehmen Wachen des Soldatenrates vorübergehend in Haft. Auf Schiffen entfernen Matrosen die Reichskriegsflagge und hissen die Rote Fahne. Die Kieler Arbeiter treten in den Generalstreik. Am Morgen bildet sich der Kieler Arbeiterrat, wo gemäßigte Mehrheitssozialdemokraten unter dem Vorsitz von Gustav Garbe (MSPD) den Ton angeben.

Am 6. November ordnet die Marineführung im Alleingang die Niederschlagung an: Aber ihr fehlen Truppen, und es passiert nichts. Die Macht in Kiel liegt in den Händen der beiden Räte, trotzdem bleiben die alten Machthaber – der Gouverneur sowie der Oberbürgermeister und seine Verwaltung – im Amt. Die Räte beschränken sich auf die Kontrolle der Verwaltung durch Verhandlungen und das Prinzip der "Beiordnung". Schließlich hat Noske sich selbst an die Spitze der revolutionären Soldaten gesetzt, zum Vorsitzenden des Soldatenrates ernannt, den er anschließend neu zusammenstellt. Die Revolutionäre vertrauen ihm und die alten Mächte akzeptieren ihn. Dieser Soldatenrat hat kein Programm, er handelt vor allem ordnungspolitisch.

Diese Geschichte erscheint in folgenden Themen:
Revolution 1918-1920
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