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Republikanisches Schleswig-Holstein © izrg

Gemäßigte Sozialdemokraten setzten sich an die Spitze der Bewegung und wollen durch demokratische Kontrolle der hergebrachten professionellen Instanzen regieren.

Am Abend des 7. November 1918, nach einer knappen Woche Aufruhr, ist die Revolution in Kiel und in Schleswig-Holstein beendet: Straßen- und Eisenbahnen fahren wieder; es gibt keine Schießereien mehr. Der zur Beruhigung der Lage aus Berlin gesandte (M)SPD-Reichstagsabgeordnete und Wehrexperte Gustav Noske – seit einem Tag an der Spitze des Soldatenrates – lässt sich nun von diesem Soldatenrat zum Gouverneur wählen: Er setzt nicht mehr auf die Leitung des revolutionären Rates, sondern auf das mächtigste Amt im alten System. Fortan spielt der Soldatenrat – an dessen Spitze nun der Kieler USPD-Vorsitzende Lothar Popp steht – keine wesentliche Rolle mehr, Gouverneur Noske aber verfügt noch über erhebliche Machtbefugnisse, bis er am 6. Januar 1919 Kiel verlässt, um Mitglied der Berliner Revolutionsregierung zu werden.

Dabei ist durchaus noch Revolutionäres geschehen an diesem 7. November: Der Kieler Arbeiterrat hat sich zur „Provisorischen Regierung von Schleswig-Holstein“ erklärt. Der eigentliche Plan des Arbeiterrates zur Ausrufung der „Republik Schleswig-Holstein“ scheitert am Widerstand Noskes. Die anderen lokalen Arbeiterräte in der Provinz akzeptieren die besondere Rolle des Kieler Rates: Ohne Widerspruch fungiert er von nun an als provisorische Regierung, und zwar nach dem bereits in Kiel erprobten Prinzip der „Beiordnungen“ zur demokratischen Kontrolle der alten professionellen Instanzen; dem preußischen Oberpräsidenten der Provinz ordnet man den Bezirksvorsitzenden der MSPD, Heinrich Kürbis, bei; auch der Regierungspräsident und der Landeshauptmann erhalten sozialdemokratische Beigeordnete.

Weitere wesentliche Impulse gehen von den Kieler Revolutionären nicht mehr aus; das eigentliche Geschehen spielt sich nun in Berlin oder München, im Ruhrgebiet und anderswo ab. Die Lage in Kiel bleibt stabil: Alte und neue Machthaber arbeiten zusammen für Ruhe und Ordnung – und warten darauf, was in Berlin geschieht.

Auch in Kleinstädten der Provinz haben Räte die Macht übernommen. Spätestens am 8. November gibt es in den meisten größeren Orten Soldaten- oder Arbeiterräte, meist einen gemeinsamen, so auch in Eckernförde, Sonderburg, Tondern, Neumünster, Glücksburg und Flensburg. Die Ausbreitung der Revolution ist meist gewaltfrei verlaufen, Widerstand der alten Gewalten Marineführung, Ober- und Regierungspräsident und der Landräte und Bürgermeister gibt es selten. – Insgesamt also eine eher friedliche und ruhige Ausbreitung der Revolution in der Provinz.

Im Rahmen der Demobilmachung hat ein Gutteil der ursprünglich meuternden Matrosen Kiel schon im Dezember Richtung Heimat verlassen, um das erste friedliche Weihnachtsfest seit Jahren zu Hause zu feiern. – Sie wähnen die Revolution in guten Händen. Räte sind an der Macht; sie schaffen jedoch keine eigenen Ausführungsorgane, sondern bedienen sich der alten Verwaltung mit Hilfe der Beiordnungen. Die Räte sehen die Lebensmittel- und Brennstoffversorgung, die Gewährung der öffentlichen Ordnung und den organisierten Übergang vom Kriegszustand in den Frieden als Hauptaufgabe an. Entscheidungen über die politische und wirtschaftliche Neugestaltung Schleswig-Holstein treffen sie nicht. In Schleswig-Holstein zeigt sich also eine ähnliche Entwicklung wie auf der Reichsebene: Die klare Mehrheit der MSPD in Kiel sorgt dafür, dass Arbeiter- und Soldatenrat mit gemäßigten Zielen agieren und insbesondere die eigene Rolle als kontrollierend und vorübergehend erachten. Versuche des Kieler Arbeiterrats, seine revolutionäre Machtrolle auszubauen oder zu bestätigen, scheitern. Im September 1919 löst sich der Kieler Arbeiterrat auf, die Zeit des Soldatenrates ist bereits im Juni 1919 abgelaufen.

Zwar gibt es während der Unruhen im Januar 1919 Demonstrationen und sogar Kämpfe mit insgesamt sechs Toten, aber eine zweite Phase der Räte- und Massenstreikbewegungen, die in anderen Regionen des Reiches im März und April 1919 für mehr Unruhen, Straßenkämpfe und Opfer sorgen als die engere Novemberrevolution, findet hier nicht statt. Das Rätesystem als demokratische Alternative zur parlamentarischen Demokratie ist in ganz Schleswig-Holstein kein Thema; hier arbeiten die in der kaiserlichen Zeit geprägten Verwaltungskräfte bruchlos weiter. Der Tag der Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 bestätigt den gemäßigte Weg der MSPD: Die Partei erzielt in Kiel 50,2 % aller Stimmen, bedeutend mehr als jene 37,9 % im Reichsdurchschnitt, und die rätedemokratische USPD erreicht ihr Durchschnittsergebnis von 7,6 %.

Diese Geschichte erscheint in folgenden Themen:
Revolution 1918-1920
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