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Dr. Gerhard Stoltenberg: Die CDU Schleswig-Holstein

"1969 wurde im Bund die 20jährige Regierungsführung der CDU/CSU durch den "Machtwechsel" zu einer SPD/FDP-Koalition beendet. Eine neue Ära begann, die auch beträchtliche Auswirkungen auf die landespolitische Situation in Schleswig-Holstein und auf andere Bundesländer hatte. Die Regierung Brandt/Scheel startete mit großen Ansprüchen und manchen Vorschußlorbeeren. Im Vorfeld der Landtagswahl 1971 beschloss der Landesparteitag der FDP Schleswig-Holsteins mit Mehrheit eine Koalitionsaussage zugunsten der SPD. Damit wurde eine 20-jährige gute Zusammenarbeit mit der Union aufgekündigt und das Bündnis mit der betont linken SPD unseres Landes unter Jochen Steffen gesucht.

Dies gab dem Wahlkampf 1971 eine besondere Spannung und verlieh ihm beträchtliche überregionale Beachtung. Die FDP verlor eine Reihe angesehener Mitglieder, die den Linksschwenk in Kiel nicht mitmachen wollten. Aber es gab auch Zweifel, ob die Union allein gegen SPD, FDP und SSW den Sprung über die 50-Prozent-Grenze schaffen könne. So waren viele überrascht, als wir am 25. April 1971 mit 51,9 Prozent der Stimmen und 40 von 73 Mandaten einen stark beachteten Erfolg erzielten. Die FDP verfehlte mit 3,8 Prozent den Wiedereinzug in das Landesparlament, und die NPD wurde mit 1,3 Prozent bedeutungslos.

Die Ära Brandt/Scheel führte zu einer starken Politisierung und Polarisierung in der Bundesrepublik. Es waren nicht nur die Gegensätze in der Deutschland- und Außenpolitik, sondern auch die umstrittenen systemverändernden "Reform"-Projekte im Bildungs- und Hochschulsektor, in der Rechts- und Innenpolitik, die Menschen im Für und Wider bewegten und im politischen Engagement bestärkten. So stiegen die Mitgliederzahlen der Parteien bald erheblich an. Dies galt besonders für die CDU Schleswig-Holsteins. 1971 zählten wir 20 000 Mitglieder, 1983 erreichten wir mit rund 43 000 einen Höchststand. Der Anteil der Arbeitnehmer, der Frauen und der jungen Jahrgänge nahm dabei überdurchschnittlich zu. Und die Arbeit vieler Ortsverbände, der Vereinigungen und Fachausschüsse wurden lebendiger. Wir mussten auch Rückschläge hinnehmen. So verloren wir im Herbst 1972 bei der Bundestagswahl gegenüber der Landtagswahl des Vorjahres fast 10 Prozent und lagen mit 42 von Hundert etwas unter dem Bundesdurchschnitt. In Schleswig-Holstein fanden die Person und Politik Brandts zunächst starke Zustimmung; seine landsmannschaftliche Herkunft aus Lübeck spielte eine Rolle. Eine ähnliche Zugkraft entfaltete der Hamburger Helmut Schmidt bei den Bundestagswahlen 1976 und 1980. So mussten wir nach herben Rückschlägen bei den nationalen Abstimmungen immer wieder intensive Aufbauarbeit leisten, um unsere Führungspositionen in der Landes- und Kommunalpolitik erneut zu gewinnen. Dies gelang mit gewissen Schwankungen über eine lange Zeit hinweg. Die folgenden drei Landtagswahlen 1975, 1979 und 1983 bestätigten unsere Mehrheit, und wir blieben auch in der kommunalen Selbstverwaltung die stärkste Kraft.

Die Zusammenführung vieler Menschen aus allen Berufsgruppen und sozialen Schichten unseres Landes, von Jungen und Alten, Frauen und Männern war und bleibt eine ständige Aufgabe, die unverzichtbare Voraussetzung für eine große Volkspartei und für Mehrheitsfähigkeit. Diese ständige Integration durch Erfahrung und Überzeugung setzt die Anerkennung der Vielfalt von Motiven und Interessen voraus. Man muss freilich die zentralen Punkte der Übereinstimmung, der Gemeinsamkeit und der Solidarität herausarbeiten und bewusst machen. Darin liegt die Bedeutung von Programmdebatten, die immer Standortbestimmungen sind, und von gemeinsamen Aktionen. Nur so können Volksparteien Bewusstsein prägen und im ständigen Wettbewerb auch Meinungsführerschaft gewinnen.

Dazu gehört auch die Bereitschaft, klare Positionen zu beziehen und in wichtigen Fragen Kontroversen öffentlich auszutragen. Hieran fehlte es in den siebziger und achtziger Jahren in Schleswig-Holstein nicht. Über eine lange Zeit hinweg hatten wir in unserem Land die nationale Auseinandersetzung über die Energiepolitik am Standort Brokdorf zu führen. Die Kündigung des Staatsvertrages über den NDR bewirkte schließlich eine Weichenstellung für mehr Pluralismus und neue Grundlagen für die öffentlich-rechtlichen Medien. Obwohl wir in beiden Streitpunkten zeitweise in einige Bedrängnis kamen, haben die meisten Bürger uns schließlich recht gegeben."

Quelle: Stoltenberg, Gerhard: Die CDU Schleswig-Holstein – erfolgreich durch Integration und Erneuerung. In: Mosber, Helmuth: 50 Jahre CDU Schleswig-Holstein. Kiel 1996, S. 76-82. Zit. nach: Danker, Uwe: Landespolitik in den 70er Jahren, Ära Stoltenberg-Steffen.

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